Abstract
This article focuses on productive intellectual reactions shared by some members of the Gesellschaft der Freien Männer (1794–1799) in Jena who gathered around Fichte starting in 1794 and shaped an association with a statute and a protocol. Those members did not completely agree with the philosopher’s proposal to construct positive knowledge based on the metaphysical unity of the “I”. As in Fichte’s premise to Wissenschaftslehre, where the forms of individual consciousness are simply “coordinated” with the pure infinite “I,” and the definite world as “non-I” is inevitably curtailed in its participative freedom. Johann Friedrich Herbart, August Ludwig Hülsen, and Johann Erich von Berger derived in their writings suggestions for a social ethics closer to the needs of individuals following the model of Pestalozzi. Berger’s study of civil rights, conducted until his death in 1833, proves to be the best inheritance of Late Enlightenment as struggle to defend individual dignity and freedom.
Bewegung, Leben, Freiheit als Programm
Die Analyse der kulturellen Probleme, die mit der von 1794 bis 1799 aktiven Gesellschaft der Freien Männer zu Jena verbunden sind, kann einen zentripetalen Verlauf nehmen und sich auf die historisch-sozialen Beweggründe ihrer Fundierung und die von ihr ausgeübten Aktivitäten konzentrieren. Sie kann aber auch nach einem zentrifugalen Prinzip betrachtet werden und von den philosophischen Lehren Reinholds und Fichtes ausgehen, um so zu einigen wichtigen theoretischen Erkenntnissen zu gelangen, die – jenseits des Bestehens der Gesellschaft – durch ihre ehemaligen Mitglieder und Sympathisanten verbreitet wurden. Dies geschah vor allem dank der Arbeit z. B. von August Ludwig Hülsen, Johann Erich von Berger, Johann Friedrich Herbart, Johann Georg Rist und Johann Smidt.
Diese Entwicklung wurde bereits seit längerer Zeit in bedeutenden Monografien zur Gesellschaft aufgezeigt, wie etwa in Willy Flitners August Ludwig Hülsen und der Bund der Freien Männer (1913),1 Felicitas Marwinskis „Wahrlich, das Unternehmen ist kuhn …“. Aus der Geschichte der Literarischen Gesellschaft der freien Männer von 1794–1799 zu Jena (1992), oder später erschienenen umfangreichen Studien, wie Ulrich Krämers „… meine Philosophie ist kein Buch“. August Ludwig Hülsen (1765–1809). Leben und Schreiben eines Selbstdenkers und Symphilosophen zur Zeit der Frühromantik (2001). Wie unmittelbar ersichtlich, scheint es schwierig, Nachforschungen über das Schicksal der betreffenden Gesellschaft anzustellen, ohne dabei auf Hülsens Denkvorstellung einzugehen. Christoph Jamme hat Hülsen als „Theoretiker eines neuen Pantheismus“ (Jamme 89) definiert, dessen intellektuelle Entwicklung sich neben den Mitgliedern der Gesellschaft2 am leichtesten nachvollziehen lässt. Trotz der spärlichen Anzahl der von ihm hinterlassenen Aufsätze sowie der Zeugnisse zu seiner Beteiligung an den dichterischen und soziokulturellen Projekten der Schlegels in Jena, können wir uns auf eine Reihe gut recherchierter Arbeiten zum Bund der Freien Männer verlassen.3
Zweifelsohne hat diese Gemeinschaft, die abwechselnd als Gesellschaft, Bund oder Vereinigung bezeichnet wird, über ihre offizielle Auflösung im Jahr 1799 hinaus weiterhin die freundschaftlichen Bande zwischen ihren verschiedenen Mitgliedschaften aufrechterhalten, was aus Briefsammlungen und Lebenserinnerungen4 hervorgeht.
Von einem methodologischen Gesichtspunkt kann man durchaus mit einigen Forschern des deutschen Idealismus bezüglich der Wichtigkeit übereinstimmen, das Phänomen in einen weiteren als den nur streng geschichtswissenschaftlichen Horizont einzuordnen, um somit die Entwicklungen in der post-Kantischen Phase und im Einflussbereich von Fichtes Wissenschaftslehre in Betracht ziehen zu können (Beiser, German Idealism). Zur Diskussion steht folglich die Vorstellung von einer „Teilnahme“ des Einzelnen im Zeichen einer praktischen Philosophie, wonach die Wahrnehmung von einer, infolge der Definition von Fichtes „Nicht-Ich“ erstandenen Welt als einschränkend beurteilt wird. Demnach versuchen einige Mitglieder der Gesellschaft, zwischen der geistigen und der körperlichen Ebene des Individuums eine Beziehung monistischer Prägung zu verstehen. Zur Entfaltung der Individualität und zum gemeinsamen Streben nach Gleichheit und Gerechtigkeit tragen, wie Gaier hervorgehoben hat, die theoretischen Ansätze von Herders Briefen zu Beförderung der Humanität bei:
Der § 1 des Kapitels „Von der Gesellschaft insbesondere“ in der Constitution lautet: „Durch engere Verbindung unter einander, durch Belebung unsrer Gefühle für Wahrheit, und Tugend, streben wir jenem höchsten Ziele, der Verbreitung des Wahren, und der Beförderung der Humanität zu. Auch das Motto der Constitution, zwei Strophen aus Herders Übersetzung der Ode Die Wahrheit von Jacques-Auguste de Thou (1553–1617) stammen aus dem 47. der Briefe zu Beförderung der Humanität. (Gaier 75f.; vgl. Herder 254)
Die Antriebskraft für diesen Übergang von Kants Rationalismus und Erkenntnislehre zum vollständigen Ausdruck der spätaufklärerischen und frühromantischen Sichtweise des ganzen Menschen entspringt jenen „Visionen der Dynamisierung“, die dem größten Teil der kulturgeschichtlichen und ästhetischen Terminologie des ausgehenden 18. Jahrhunderts zugrunde liegen. Sie wurden vor allem durch das Manifest des Jenaer Athenaeum-Kreises bekannt. Das Programm der Schlegels und das von Novalis gab die Anhaltspunkte vor, um sich im Rahmen einer „universellen fortschrittlichen Dichtkunst“ – auch im Sinne einer Sympoesie – und einer Symphilosophie (Naschert 111–135) bewegen zu können. Die Termini aus der Frühromantik bringen vollends den mit der Mitarbeit an einer Reform der modernen Kultur zu vereinbarenden Grundsatz zum Ausdruck, ungeachtet ihrer Inspiration durch das alte Modell des Dialogs platonischer Ausrichtung und der Überlegungen von Sokrates zu den dringlichsten gesellschaftlichen Problemen und dem davon betroffenen Subjekt.
Wir befinden uns mit anderen Worten in der Phase, in der der rationalistische Diskurs, der sich in dem letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts auf die Idee der Bewegung als Voraussetzung für das unendliche Fortschreiten der menschlichen Erfahrung stützt, zunehmend seinen rigiden Schematismus verliert. Es liegt aber auch an der besonderen Natur der Gesellschaft der Freien Männer, die sich um Fichte schloss, dass sich diese Gesellschaft selbst als Beschleunigungsinstanz des Zeitalters verstand und – wie Friedrich Schlegel es schön sagen würde – eine wichtige Tendenz der frühromantischen Epoche bildete (da Silva 231).
Man kann Dirk Oschmann zustimmen, dass
[Fichte] begründen muß, weshalb er das Problem der Bewegung im Rahmen einer praktischen Philosophie verhandelt: weil letztlich Bewegung, sofern sie in wachsendem Maße als eigenständiger Wert erscheint, zum Bestandteile individueller Lebensführung und damit für den einzelnen zu einem Hauptproblem in der Moderne wird, sofern sich Mobilität und Beschleunigung als absolute, scheinbar unhinterfragbare gesellschaftliche Werte durchgesetzt haben. […] Doch Fichte geht noch weiter, indem er nicht nur Leben und Bewegung zusammendenkt, sondern auch die Freiheit zu diesem Begriffspaar hinzufügt und damit für das Selbstverständnis der Moderne den entscheidenden Schritt geht. (Oschmann 135)
Anhand eines Zitats aus Fichtes Practischer Philosophie, in dem er betont, dass „Bewegung […] das erste ist, wodurch die Natur ‚Prise’ über uns giebt“ (ebd.), hebt Oschmann eine weitere Beziehung hervor, die Fichte zwischen Bewegung, Leben und Freiheit herstellt. Dies ist der Ausgangspunkt unserer Überlegungen.
War auch die Wissenschaftslehre von Fichte der theoretische Bezugspunkt in den Versammlungsakten der Gesellschaft der Freien Männer, die jedenfalls bereits kurz vor der Ankunft des Philosophen in Jena von einigen Mitgliedern auf der Basis einer vorher bestehenden und 1793 aufgelösten Vereinigung in Mülhausen gegründet worden war,5 so erkannten die Jugendlichen, die sich nach deren allgemeinen Parametern richteten, sogleich im Ego des reinen und absoluten Ich einen Widerspruch bezüglich der realen Bedürfnisse der Individuen als historisch und juristisch vereinigte Subjekte. In Fichtes Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten äußerte sich dieses Problem darin, dass die Schüler der philosophischen Lehre unmittelbar betroffen waren, als Fichte den Gelehrten die zweifache Rolle als „Erzieher der Menschheit“ und „lose Überwacher der Sitten“ zuwies, mit der Befugnis zur Einschränkung der Handlungsfreiheit der Individuen im Falle eines nicht dem Prinzip der Wahrheit entsprechenden Urteils.
Für den begrifflichen Kurzschluss, in dem sich Fichte verfängt, liegt dank Schleiermachers Ansicht eine überzeugende Vision vor, welche er in Form einer im sechsten Faszikel des Athenaeums von 1800 publizierten Notiz zu Fichtes Werk Die Bestimmung des Menschen zum Ausdruck bringt. Daraus sei ein bedeutungsvoller Abschnitt zitiert, in dem Schleiermacher, ausgehend von Fichtes Titel, in Hinblick auf dessen Argumentation Zweifel an der Art der Beziehung zwischen „Mensch“ und „Freiheit“ hegt:
Noch kann ich immer nicht ganz von der Störung loskommen, welche die Ueberschrift mir gemacht hat, und mehr oder weniger schlingt sich diese in alles hinein, was mir sonst unklar und zweifelhaft ist. Wie kann doch einer, der an Freiheit und Selbständigkeit glaubt, oder auch nur glauben will, nach einer Bestimmung des Menschen fragen? Und was kann diese Frage noch bedeuten, nachdem die andere vorangegangen ist: was bin ich? Soll sie auf ein Machen gehen, wozu ich da wäre, oder auf ein Werden? auf ein für mich zufälliges Werden, welches durch ein anderes Bestimmendes in mir gewirkt würde? Unmöglich! Also wenn alles Dasein nur um der Vernunft willen ist, auch ein Werden und Machen durch die Vernunft und für die Vernunft. Aber wie kann denn diese Frage von der, „was bin ich“ getrennt werden? (Schleiermacher 288f.)
Schleiermacher kommt zu dem Schluss, dass man nicht von der äußeren Erscheinung und den Beziehungen ausgehen dürfe, um zu einer Definition der „Bestimmung des Menschen“ zu gelangen. Die Frage könne nur mittels einer Stimme des Gewissens, der inneren moralischen Instanz des Individuums, gelöst werden.6
An dieser Stelle können wir näher auf die von Herbart, Hülsen und Berger vorgeschlagenen Lösungen eingehen. Diese gehen zwar unterschiedlichen Annahmen nach, versuchen jedoch stets ohne die Begriffsschematismen auszukommen, die andernfalls als tote Buchstaben aufgefasst würden. Die Angehörigen dieser Gesellschaft betrachten die praktische Philosophie als Voraussetzung für das gesellschaftliche Leben und sie versehen sie mit pädagogischen und anthropologisch-juristischen Bedeutungen, die Fichtes Theorie nur am Rande berühren. Diese gemeinsame reformatorische Vorstellung entfaltet sich gegen Ende der Parabel über das Bestehen der Gesellschaft der Freien Männer und als Begleiterscheinung zur Erfahrung der Reise in die Schweiz. Diese Reise war nicht nur dafür gedacht, für einige Wochen am Rastatter Kongress von 1798 teilzunehmen, auf dem man versuchte, zu einer Ausführung der Beschlüsse von Campoformio (17. Oktober 1797) zu kommen und bezüglich der Abtretung des linken Rheinufers an Frankreich zu verhandeln (Gaier 57).7 Wie Ulrich Gaier schreibt, ging es mit dieser Reise vorwiegend darum, eine neue Form des Lebens zu suchen, unter dem Motto „Ich will bloß existieren“ (ebd. 70).
Die ersten aus der Jenaer Gesellschaft, die 1796 in der Hoffnung auf eine Begegnung mit dem Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) nach Zürich aufbrachen, waren Hülsen und Berger, die in diesem Mann das Vorbild für eine Verbindung von „Volksbildung, sozialer Erziehung und handwerklich-landwirtschaftlicher Bildung der von ihm betreuten Kinder“ sahen (ebd. 70f.). Hülsen und Berger kehrten dann im Herbst 1797 nach Deutschland zurück, da sie befürchteten, in die sich bereits in den Kantonen und in Bern ankündigenden Aufstände hineingezogen zu werden, angeheizt durch die Einmischung der Bonapartisten in den Befreiungsaktionen der Schweizer. Am 22. März 1797 verlas Herbart vor der Mitgliederversammlung des Jenaer Bundes ein Vermächtnis an die littärarische Gesellschaft, in der Absicht, sich von ihm zu verabschieden und sich mit seinen Freunden in der Schweiz zu treffen; ihm folgten Boehlendorff, Fischer, Steck, Kaufmann und Muhrbeck. Wie verschiedentlich bemerkt wurde, war innerhalb kurzer Zeit in der Schweiz eine Zweigstelle der Jenaer Gesellschaft ins Leben gerufen worden; jedoch mit diesem – wenn auch vorübergehenden – Personenschwund war auch der unvermeidliche Zerfall dieses deutschen Vereins vorbestimmt.
Handlung und Sittenlehre bei Herbart
In der Protokollaufzeichnung der von den Mitgliedern der Gesellschaft der Freien Männer zwischen März 1795 und September 1796 behandelten Gegenstände erscheinen ganze sieben Themen, über die der zukünftige Pädagoge vor seinen Kollegen sprach. Man kann also im Vergleich zu den Beiträgen der anderen Gesellschaftsmitglieder von einem „eifrigen Vortragenden“ sprechen. Im Allgemeinen werden die Themen in Form von Referaten über moralphilosophische oder erziehungsphilosophische Fragestellungen dargeboten, wobei es in drei Fällen um zu behandelnde Themenvorschläge von Berger (Über die Erziehung, 5.05.1796), von Rist (allgemein angegeben als Verteidigung von Rists Idealen, 13.07.1796) und von Hülsen (Vorläufige Einleitung Hülsens “Prüfung” zu lesen und zu beurteilen, 03.09.1796) geht, dort, wo Herbart im letzten Fall auf die entscheidenden Kernpunkte von Hülsens Abhandlung, Prüfung der von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin aufgestellten Preisfrage: Was hat die Metaphysik seit Leibnitz und Wolf für Progressen gemacht? (1796) einging. Vom Winter 1796 bis März 1799 bezog Herbart auch öffentlich Stellung zum Thema Über die Unschuld des Historikers.
In den Jahren 1794 bis 1800 konzentrierte sich Herbart hauptsächlich auf die problematische Beziehung zwischen Ich und Nicht-Ich sowie auf die möglichen konzilianten Lösungen zwischen Trieb und Vernunft. Somit lässt sich eine regelrechte Entwicklungslinie seines Denkens von der Zeit an nachvollziehen, als er Fichtes Schüler war und Interesse an Schellings Philosophie zeigte, nämlich wegen dessen Zweifeln gegenüber Fichtes System im Aufsatz von 1795, Vom Ich als Prinzip der Philosophie.8
Obschon sich Herbart der Tatsache bewusst war, dass jede Doktrin anfällig ist für Täuschung und dass allein die Mathematik eine Garantie für eine nachweisbare Weiterentwicklung der Ausgangsthese zu geben vermag, sah er dennoch auch in einem systematischen Gedanken anderer Art eine Möglichkeit auf Erfolg, je nach der Anzahl der Anhänger, deren er sich rühmen könne (in Über philosophisches Wissen und philosophisches Studium, 1798). So behauptete er, dass dieser Gedanke auch die Grundlagen für den Aufbau freundschaftlicher Beziehungen schaffen könne.
Andererseits, so stellte er später im Ersten problematischen Entwurf der Wissenslehre (1798) fest, führe das Ich, das einen „Anderen an seine Stelle setze” zu einem offensichtlich negativen intensiven Wettstreit in den „gesetzten“ Subjekten und schwäche allmählich mit der sich wiederholenden Aktion deren Beitrag zur Konsolidierung des Ichs ab. Herbarts Terminologie ist durch die Empfindungslehre, nicht durch Vernunft inspiriert und zielt auf eine demokratische Lösung der zwischen den betroffenen Subjekten entstehenden Konflikte.
Zu Fichtes These, dass
„das Setzen ist verbunden mit einem fortdauernden Vernichtet Werden des Vorhergehenden; das Letztere ist nicht aufgehoben, nur verringert, ohne Zweifel nicht an Extension, denn die hatte es nicht, als an Intension“,
bemerkt Herbart Folgendes:
Nun könnte es scheinen, als müssten wegen der Identität des Ich alle Grade seiner Intension immer beschäftigt sein, damit nicht zuzeiten nur die Hälfte oder drei Viertelteile von ihm wachten und die übrigen schliefen. Aber das höbe die Identität gerade auf […] Keiner von jenen Graden ist ein für einen gewissen äusseren Eindruck bestimmtes besonderes Vermögen, sonst hätten wir wieder ein Aggregat von Mehrern Absoluten […] (Das Gesetzte kommt ohne Zweifel zum Teil zu stande, wenigstens manchmal, wenn auch nicht immer; denn es sollen sich ja Vorgestellte, als nicht Wirkliche, kennbar machen. Folglich ist ein Setzen, das nach noch grösserer Intension strebt, ein Setzen und Streben zugleich.) Aber bei der Verstärkung des gegenwärtigen Gefühls durch lange Dauer, nimmt die verhältnismässige Intension des ersten immer ab. So hebt lange Gefangenschaft auch den Wunsch nach Freiheit auf. (Herbart, Erster problematischer Entwurf 109f.)9
Seine Analyse schließt mit der Erkenntnis, dass die Begierde, die dem Wettstreit zwischen den durch die intensive Konkurrenz freigewordenen Gefühlen entspringe, Heimweh nach einer Beziehung zum Ich hervorbringe, bzw. ein Gefühl der Leere hervorbringe, da die Bestandteile dieses objektiven Teils, des Gesetzten, wiederum eines Gegenstandes entbehrten, insofern sie keinem Plan folgten, da ein solcher für das Ich in den Verwandlungsprozessen zu einer Art Herausforderung werde.
Ohne auf diesen Aspekt weiter eingehen zu können, sei festgehalten, dass es sich bei den Schriften um vier Vorlesungen handelt, in denen Herbart in der Jugendphase seiner Reflexion eine Reaktion gegen die vermeintliche Passivität der „vom Ich auferlegten“ Subjekte, die von dem regierenden System erwünscht ist, darlegt. Betitelt Über das Bedürfnis der Sittenlehre und Religion in ihrem Verhältnis zur Philosophie (1800), stimmt ihre Herausgabe zeitlich mit der Veröffentlichung im Athenaeum im 5. Heft vom Mai des Jahres der Natur-Betrachtungen auf einer Reise durch die Schweiz von Ludwig Hülsen überein. Dem ging im 3. Heft vom März 1799 ein weiterer bedeutender Beitrag voraus, betitelt Über die natürliche Gleichheit der Menschen.10
Worauf es mir hier ankommt, ist, dass sich Herbart in einem Bremer Museum – damals war er erst 25 Jahre alt und folgte der Einladung seines Freundes Johann Smidt, der als damals Siebenundzwanzigjähriger zum Ratsherrn der Hansestadt gewählt wurde – mit dem Thema der Bedeutung des Bildungskonzeptes in der Gegenwart an eine jugendliche Plattform wendet.11
Herbart fordert vor allem dazu auf, in ein Projekt zur Bildung des Geistes Vertrauen zu setzen, auch wenn die sich an der metaphysischen und außerhalb der Zeit liegenden Dimension inspirierenden Lehren für denjenigen nicht unmittelbar verständlich seien, der sich den philosophischen Theorien als Neumitglied annähere. Herbart ist sich der Tatsache bewusst, dass der von der Philosophie des Idealismus ständig betonte Widerspruch zwischen Leidenschaft und Vernunft dem Zugang zur Wissenslehre hinderlich ist. Er lädt dazu ein, Kraft und Entschlossenheit zum Ausdruck zu bringen, um zu den eigenen Handlungen zu stehen und auf diese Weise die eigene „feste Persönlichkeit“ an den Tag zu legen, unter Überwindung des Unbehagens einer von außen kommenden Einschränkung oder Bestimmung des Ichs:
Es scheint also, wir sind aus heterogenen Bruchstücken zusammengesetzt, und unsre wahre Gestalt ist ein Traum! Wer möchte diesen Gedanken ertragen? – Und gleichwohl müssen wir es, so lange wie wir uns nehmen, wie wir sind! Soll hingegen eine echte, feste Persönlichkeit in uns aufgehen, ein Charakter überdies, der unsres eignen stetigen Beifalls gewiss sei, so müssen wir eine neue Schöpfung beginnen, wir müssen uns neu erzeugen, durch unseren Entschluss, wir müssen uns machen – es muss jeder sich setzen, nicht wie er sich findet, sondern wie er sich fordert. (Herbart, Über das Bedürfnis 118).
Aus mehreren Stellen von Herbarts Abhandlung gehen einige recht deutliche Kritikpunkte an Fichte hervor, wenn er nämlich auf konstruktive Art das Schema eines anderen moralischen Ansatzes darlegt, der durch das Verhältnis zwischen Sittenlehre und Religion entsteht. Wie er in seiner zweiten Vorlesung behauptet, sei der Zugang zu einer gesunden Bildung ein „Handeln durch seinen Kunstsinn und durch sein sittliches Gefühl“ (ebd. 120). Des Weiteren fordert er, dass das Handeln stets mit der Meditation einhergehen solle, die kennzeichnend für die Religion sei. Die Ethik reiche nicht aus, um uns die Hoffnung auf Erfolg zu geben, denn wir führten als Individuum moralische Handlungen auf der Grundlage des subjektiven Willens aus. Andererseits, so fährt er in der dritten Vorlesung fort, schreibe man die Handlung der Religion und die Meditation der Ethik zu, so könnte die erstere einen totalisierenden Charakter annehmen, indem sie zum blinden Glauben werde, oftmals einem Philosophem (ebd. 123), d.h. einer abstrusen Abstraktion ähnlich. Die dritte Vorlesung schließt entsprechend mit der Aufforderung, das Gute an den theoretischen Grundsätzen nicht blindlings zu verteidigen, als ginge es dabei um den Ausspruch einer absoluten Wahrheit, auch weil jede Art von Wissen letzten Endes unvollständig sei: „Und man darf wohl sagen, über die Herrschaft im Reiche der Begriffe giebt es nur noch eine, welche höher ist als sie, – nämlich die Herrschaft über uns selbst“ (ebd. 124).
In seiner vierten und letzten Vorlesung unterscheidet Herbart Sittlichkeit und Religion von der ‚practischen‘ Philosophie, wobei er hervorhebt, dass diese lediglich Gesinnungen seien und als solche nicht anhand von Bezeigungen ihrer primären Grundlagen vorgeschrieben werden könnten, fast so, als handelte es sich um ein geometrisches Theorem. Dadurch dürfe ein jeglicher Gelehrter, der sich als Vertreter einer menschlichen Kollektivität hervortun wolle, hierzu legitimiert sein, da ja auch die Philosophie genauso wie die anderen Erscheinungsformen des Wissens Fehlern unterliege: „Sittlichkeit und Religion sind Gesinnungen. Sie sind nicht Kenntnis einer Reihe von Lehrsätzen, nicht Routine in der Praxis nach einem Kodex, – sondern Gemütsverfassungen“ (ebd.).
Kraft, Handeln und der Sinn der Popularphilosophie
Trotz der in der Kritik verbreiteten Meinung, Fichte hätte eine „titanische“ Haltung in seiner philosophischen Lehre gezeigt und sich sogar reaktionär verhalten (Beiser, Genesis 107), haben andere Interpreten seiner Philosophie betont, dass er „gar keine ‚antihumanitären‘ Ansichten vertrat“ und dass man ihn sogar als einen „Verfechter der Französischen Revolution und des dahinterstehenden Menschenbildes in Deutschland“, sowie als „fortschrittlichen Pädagoge“ bezeichnen könnte (Krämer 127).12 Man hat u. a. bemerkt, dass Fichte mit dem Hinweis, das in seinem philosophischen Denkschema enthaltene Ich könne demokratisch gesprochen „irgendein Ich“ sein, das Prinzip der Gleichheit aufrechterhielt, indem er im absoluten Ich eine Pluralität des Ichs subsumierte und die Notwendigkeit einer göttlichen Präsenz umging. Dennoch sind für Hülsen die in dieses Beziehungsgebilde zwischen Ich und Nicht-Ich verwickelten Subjekte nicht real genug, und daher ist er um die Erstellung eines Programms bemüht, das seinen eigenen Mittelpunkt im Begriff der Kraft findet. Diese habe, wie Martin Oesch erläutert, die Bedeutung von Selbsttätigkeit, Selbständigkeit und Freiheit (Oesch 109).
In seiner Schrift von 1798, „Ueber den Bildungs-Trieb“, erklärt Hülsen die Funktion, die das freie Handeln – eine Definition mit Verweis auf die Distanzierung von der einschränkenden Art und Weise des „Setzens“ und „Sich Setzens“ in der Realität nach Fichtes Prägung – annimmt, wenn die Handlung ihre eigene Verbindung zu einem Ausdruck erkennt, was dem Ich ermöglicht, sein eigenes Handeln im Verhältnis zu einer Form von Bildung zu verstehen: diese ist der Anzeiger für unser Bildungsbewusstsein (Hülsen, Ueber den Bildungs-Trieb 127). Diese bereits in der Schrift von 1797, Ueber Popularitat in der Philosophie, eingeführte Annahme, wird noch verfeinert durch die völlige Entschärfung der Gegensätzlichkeiten und Antagonismen und mittels der Identifizierung einer Beziehungssequenz zwischen Trieb – Handeln – Bildung, die der Mensch auch in der Natur wiederentdecken sollte: „Der Mensch bildet sich” ist also gleichbedeutend mit „er bildet seine Welt”, schrieb er in seinem Aufsatz von 1797.13 Nun aber legt er Wert auf die Klarstellung, dass es zur Erlangung eines höchst praktischen Charakters der Bildungsbestrebungen und der Umgehung eines jeglichen Risikos der Selbstbezogenheit notwendig sei, diese unbegrenzte Handlung durch eine Art der Selbstkontrolle einzuschränken, die sich in der Hervorbringung von Gestalten konsolidiert, in denen wir unser „Tun“ wiedererkennen:
Aus der Begränzung des Unbegränzten entstehen Gestalten, und folglich unendliche Gestalten, da die Begränzung unendlich ist. Unsere Welt-Anschauung ist als Anschauung dieser Gestalten, und die Bestimmtheit ihrer Bildungen Gesetzmäßigkeit des Triebes, auf den wir die bildenden Kräfte zurückführen mussen. (Hülsen, Ueber den Bildungs-Trieb 127)
Hülsen fragt sich ständig, wie der von der Natur unserer Handlung ausgehende Bildungstrieb erklärt werden könnte und antwortet mit der Aussage, dass die Handlung sich wieder im Subjekt spiegeln müsse, das durch ein „tätiges Bewusstsein“ und die „Vernunft“ angetrieben werde. Somit bestimme es den Kontext der es umgebenden Realität, ohne dabei von externem Handeln abhängig zu werden. Was indessen seine theoretische Position charakterisiert, ist die Tatsache, dass man sich in der Gegenwart bei der Handlung auch auf die Erfahrung eines „Goldenen Zeitalters“ konzentriert, das kein Mythos mehr ist, damit aber zur zeitgenössischen Utopie wird: Die auf die Zukunft gerichteten Wunschvorstellungen werten die Bedeutungsfülle des gegenwärtigen Moments vom historisch-anthropologischen und gesellschaftlichen Gesichtspunkt her auf, entledigen sie aber der politischen Bedeutungsträger, und verzichten vor allem auf die transzendente Dimension (Oesch 113).
Hülsens Beitrag zu Schlegels Programm einer Erneuerung der Dichtkunst durch das progressive universelle Prinzip gipfelt trotz der scheinbar zweitrangigen Rolle des Dichters im Vergleich zur Gruppe in seinem Aufsatz von 1799 Über die natürliche Gleichheit der Menschen. Der Inhalt seiner Schrift lässt sich, wie folgt, zusammenfassen:
Ausgehend von der Feststellung – die anscheinend selbstverständlich sein dürfte – dass die Ungleichheit real und die Gleichheit ein Postulat sei, schafft es Hülsen dies zu widerlegen, indem er die Begriffe verdreht. Die Grundlage allen Daseins ist der Mensch unter den Menschen und die enge und wirkliche Verbindung der Existenz aller mit der des Einzelnen macht aus einer solchen Beziehung einen Zustand, der „ursprünglich in der Natur unseres inneren Wesens begründet liegt [und daher] ewig und beständig [ist]. (Mazza 412)
Hülsens Diskurs geht von den durch Missverständnisse und Unverständnis hervorgerufenen Schwierigkeiten bei der zwischenmenschlichen Gedankenvermittlung aus. Deshalb beabsichtigt er weiterhin bei der Offensichtlichkeit der folgenden Tatsache anzusetzen: Wenn es nämlich wahr ist, dass der Mensch sich durch seine Vernunft auszeichnet, wird auch sein Handeln von dieser Instanz gelenkt sein, und die Vorstellungen unterliegen seiner eigenen Kontrolle. Dennoch kann man dabei nicht an eine isoliert stattfindende Handlung denken, denn der Mensch befindet sich stets „unter andern Menschen“. Seine Handlung braucht einen Sinn, um vernünftig zu sein und muss daher produktiv sein, was nur für den Kontext eines Staates der Fall sein dürfte. Jedoch kommt es darauf an, dass die einzelnen Komponenten einer Gesellschaft im Staat ihre Besonderheit innerhalb des Staates beibehalten und in ihrer Unterschiedlichkeit trotz allem versuchen, ihre divergierenden Ansichten einander anzunähern.
Bergers unbezwingliche Sehnsucht nach Freiheit
Auch für Johann Erich von Berger (1772–1833) gilt es in Betracht zu ziehen, dass die Studienjahre in Jena für ihn entscheidend zur Konkretisierung einer philosophischen Vorstellung der Welt beigetragen hatten, wobei die Menschenrechte in erster Linie auf einer empirischen, historischen und anthropologischen Grundlage statt auf einer vernunftmäßigen Perspektive im Sinne Kants beruhten.14 Es gelang Berger jedoch erst in den darauffolgenden zwanzig Jahren bis zu seinem Tod 1833 vollständig eine eigene, auf dem Konzept der „Freiheit des Subjekts“ begründete Theorie zum Ausdruck zu bringen, die auch als eine demokratische Antwort auf das preußische Gesetzbuch zu interpretieren ist. Im Jahr von Fichtes Ankunft in Jena, 1794, trat nämlich gerade in Berlin das Allgemeine Landrecht in Kraft, worin die Mitglieder der Gesetzeskommission „der aufklärerischen Vorstellung von einer Zivilgesellschaft, bestehend aus Individuen […] eine einheitlich geformte, vom Staat legitimierte, aus Schichten bestehende Zivilgesellschaft gegenüberstellte[n]“ (Ferrone 482).
Die Bedeutung von Bergers Theorien lässt sich hauptsächlich anhand von Schriften einschätzen, die erst nach der Auflösung der Gesellschaft der Freien Männer verfasst wurden. Diese lösten sich weitgehend von den Schulen Kants und Fichtes, infolge der Notwendigkeit einem sich aus der Gesamtheit der Macht höherer Instanzen und dem göttlichen Auftrag ergebenden System der Legitimität ein System des bürgerlichen Vertrages gegenüberzustellen. In letzterem, so Berger in seinem Aufsatz von 1819 „Ueber Zweck und Wesen der bürgerlichen Gesellschaft und über die Entwicklung ihrer Formen“, seien dem Individuum Freiheit und Gleichheit zu garantieren, d.h. ihm von ihm selbst gestellte Bedingungen bei seiner Befreiung aus dem „Naturzustand“ und der Interaktion mit dem Staat zuzuerkennen, um das Werk zur Wahrung der Gedanken-und Handlungsfreiheit der Bürger durch eine gerechte und gebilligte Gesetzgebung fortzuführen. Berger sieht das Volk und die höhere Instanz als ‚Contrahenten‘ an, die man sich nicht unabhängig voneinander vorstellen könne. Die Keimzelle einer guten staatlichen Organisation kann eben nur die „intelligente Kraft des Bürgers“ sein, die von „guten Communalverfassungen“ profitiert (Berger, Ueber Zweck und Wesen 54) und ihre eigene Beteiligung mittels der Abstimmung bei der Wahl ihrer Vertreter kundtut. Berger vergleicht das englische rechtspolitische System mit dem deutschen und verweilt bei ersterem, mit der Feststellung, dass dieses ein gutes Gleichgewicht zwischen den alten und neuen Generationen und einer rechtsstaatlichen Monarchie biete. Es müsste jedoch neu durchdacht werden, insofern man anstatt der Chamber of Lords einen Senat vorsähe, dessen Mitglieder teils vom Volk und teils vom Monarchen gewählt würden.
Das so genannte „Nations-Individuum“ existiert also nur „im Vollbesitz all seiner Teile“. Indessen merkt Berger an, dass Nationalität und Volkstümlichkeit zu den substantiellen Eigentümlichkeiten eines jeden Menschen gerechnet werden. Auf diesen Grundsätzen beharrt der Autor auch in seinen Allgemeinen Grundzügen zur Wissenschaft, einem zwischen 1817 und 1827 verfassten anspruchsvollen Werk in vier Bänden.
Insbesondere dessen letzter Band liefert ein sehr klares Bild davon, wie Berger vom Studium der unterschiedlichen Zielsetzungen der theoretischen Philosophie des deutschen Idealismus (gestützt auf Physik-Logik und Ethik) und der praktischen Philosophie, verstanden als „Gesamtkreis der menschlichen Tatigkeit“ ausgeht, um die Priorität der privaten und öffentlichen Gesetzgebung durch die der „sittlichen Bildung des Menschengeschlechts durch Wissenschaft und Kunst“ zu ersetzen (Berger, Allgemeine Grundzüge Bd. 4, 27ff.). Die „praktische Philosophie“ entspringt den menschlichen Bedürfnissen, in der Annahme, dass das von der Vernunft kontrollierte menschliche Begehren die positive Antriebskraft zum Schutz der Individualität ist, die beim empfindungsfähigen Subjekt stets mit der „Freiheitsliebe“ einhergeht.
Der Teil, aus dem am deutlichsten hervorgeht, dass Berger den Schwerpunkt auf das Recht der Person legt, ist indessen der erste Paragraph des ersten Abschnittes über die Grundzüge des allgemeinen Privatrechts aus dem zweiten Buch. Hier bedient sich Berger in seiner Auseinandersetzung mit dem Römischen Recht der Schlüsselwörter Freiheit, Civität und Familie (Berger, Allgemeine Grundzüge Bd. 4, 257), um zu betonen, dass das Wesen eines consortium omnis vitae, divini et humani iuris communicatio die die beiden Subjekte miteinander verbindende Liebe sei (ebd. 258), und dass diese sie als solche noch vor Eingehen ihres Bundes charakterisiere. Weder die männliche Großmut, die laut Berger Fichte dem Subjekt als Voraussetzung zu diesem Bund zuschreibt, noch die Charakteristik eines Vertrags in einer solchen Verbindung, wie Kant ausführt, sind seiner Ansicht nach der Ausgangspunkt für einen in der bürgerlichen Gesellschaft begründeten „freien Bund der Seelen“. Mit der Vorstellung, dass „viel mehr die Sitten vermögen, als die Gesetze“ (ebd. 261), kommt Berger direkt zu seinem im zweiten Teil des Absatzes behandelten Hauptanliegen. Er legt dort die Unzulässigkeit eines jeglichen Argumentes dar, das vonseiten der autoritären Instanzen und Machtorganismen zur Unfreiheit des Individuums angeführt wird. Bei seiner Kritik jeder Art von Sklaverei und vorgebrachter Ansprüche auf die Leibeigenschaft führt Berger die vierte Ausgabe von Gustav von Hugos Lehrbuch des Naturrechts, als einer Philosophie des positiven Rechts, besonders des Privatrechts (1819)15 an, das die möglichen Ursachen für die Unfreiheit eines Individuums auflistet, die das öffentliche und private Recht vorsieht und die in einem modernen Rechtsstaat als Voraussetzung für den Naturzustand oder als Form der Vererbung nicht mehr zulässig sind.
Zum öffentlichen Recht zitiert er 1) den Befehl der Regierung, 2) den Krieg, 3) die Verbrechen; zum privaten Recht hingegen 1) den Willen der Eltern, 2) die Ersitzung und den Vertrag, 3) die Zahlungsunfähigkeit (Berger, Allgemeine Grundzüge Bd. 4, 275f.). Dann schließt er wie folgt:
Wie man aber auch die eben aufgezählten Titel ansehen möge, überall bemerkt man zwar die historischen, nicht aber ebensosehr auch die Rechtsgründe der Erscheinung; denn diese sind noch etwas Anderes, als eine blosse Geschichte, und aus dem Begriff oder dem Wesen des Menschen selbst zu schöpfen, welches ihn – zur Freiheit vielmehr berief (ebd. 276).
Eines der Mitglieder der Gesellschaft der Freien Männer, Johann Georg Rist, schrieb über Berger, dieser habe im Staat vor allem eine Einschränkung der individuellen Freiheit gesehen, bis hin zur Distanzierung von dem Land, in dem er geboren war, Dänemark (Rist, Lebenserinnerungen). Wie ein italienischer Geschichtswissenschaftler heute bemerkt, so bewegte sich „das emanzipatorische und republikanische Projekt der Menschenrechte, abzielend auf die Umwandlung der Naturrechte in politische Rechte, die imstande waren die staatlichen Souveränität in ihre unüberwindbaren Schranken zu verweisen und den Menschen vor der Macht zu schützen, mit dem Allgemeinen Landrecht auf einem politisch neutralisierten Abstellgleis“ (Ferrone 484). Dies erklärt u. a. den Versuch der Mitgliedschaft der Gesellschaft der Freien Männer, der Stoßwelle des Verwaltungsrechtes deutscher Prägung mittels aus der Schweiz importierter Landsgemeinde-und föderativer Konstitutionsmodelle entgegenzuwirken.
Footnotes
Elena Agazzi, Università degli Studi di Bergamo Dipartimento di Lingue, Letterature e Culture straniere Piazza Rosate 2, 24129 Bergamo, Italy, elena.agazzi{at}unibg.it
↵1 Dieser Publication ging eine Dissertation von Karl Obenauer voraus, mit dem Titel August Ludwig Hülsen. Seine Schriften und seine Beziehungen zur Romantik. Erlangen: Junge & Sohn, 1910.
↵2 Wie Ulrich Gaier in seinem über die Gesellschaft der Freien Männer informationsreichen Aufsatz zu Hölderlins und Sinclairs Kontakte zu diesem Bund schreibt, „Hülsen, einiges älter als die Freien Männer, ließ sich nie offiziell in die Gesellschaft aufnehmen, war aber nach Jammes Auffassung, vielleicht der einflußreichste Mann im Kreis der ‚Freien Männer‘“ (Gaier 69; der Hinweis ist auf: Jamme 108).
↵3 Diese Nachforschungen, die einerseits ihren Schwerpunkt auf die die Organisation kennzeichnenden Leitlinien verlagern (wie der 2003 publizierte, aber bereits verfasste grundlegende Artikel von Paul Raabe, s. Raabe 345–362), andererseits auf deren Beziehung zu anderen kulturellen Zirkeln eingehen (man beachte Strack 113–137) oder zu Fichte (Jamme 87–108), haben zu einer Erweiterung des Informationsspektrums über eine seit Mitte der 1970 Jahre des vergangenen Jahrhunderts wenig bekannte Realität beigetragen. Verwiesen sei u.a. auf: Rek 577–583.
↵4 Siehe zum Beispiel Johann Georg Rists Lebenserinnerungen.
↵5 Im sechsten Stück des Neuen Teutschen Merkur vom Juni 1793 wurde mit der Unterschrift K. Str. (eigentlich H.C.G. Demme) ein Artikel mit dem Titel „Die Gesellschaft der freyen Männer” (Demme 105–143) publiziert, worin das Ende einer wichtigen Kulturinitiative beklagt wurde, und man befand es für nötwendig, wieder eine ähnliche Gesellschaft zu gründen wie ein Verein auf halbem Wege zwischen „freiem Orden“ und „Alttaggesellschaft“ (ebd. 127). Zur Nachvollziehung dieses Aspektes vgl. Krämer 78f.
↵6 Schleiermacher ist vermutlich durch Hülsens Prüfung der von der Akademie der Wissenschaften zu Berlin aufgestellten Preisfrage: Was hat die Metaphysik seit Leibnitz und Wolf für Progressen gemacht? (Altona: bey Hammerich, 1796) zu einer solchen Überlegung inspiriert worden, wo man z.B. lesen kann, dass es „für den Philosophen […] kein forum externum [giebt] sondern jeder bleibt hier nothwendig sein eigener Richter“ (S. VII–VIII), aber natürlich auch durch Joachim Spaldings, Betrachtung über die Bestimmung des Menschen vom Jahr 1748. Dieses Werk wurde bis 1794 elf Mal mit dem verkürzten Titel Bestimmung des Menschen neu aufgelegt. Spalding vertritt in seinem Werk eine Form des praktizierten Christentums, die es dem Individuum ermöglicht, die Nähe zur Wahrheit durch die Stimme des Herzens zu ergründen. Tiefgreifende linguistische, kulturgeschichtliche und ideologische Passagen vermitteln eingehend die Wichtigkeit der von Spalding beabsichtigten Wende einer anthropologischen Veränderung des Begriffes Bestimmung als determinatio zu einem innovativen Sinn der destinatio. Vgl. Macor, Die Bestimmung.
↵7 Wie Anm. 2.
↵8 Jamme erläutert dennoch, dass die Unschlüssigkeiten hinsichtlich der Methode von Herbart auch gegenüber Schelling in seiner Schrift Über Schelling’s Schrift: Vom Ich ‚mit Bezugnahme auf Schellings Aufsatz, „Vom Ich als Prinzip der Philosophic“ (1795), dargelegt werden, nämlich „[w]enn Schelling das Ich als Verbindung von Setzen und Gesetztem definiert, so kann Herbart deswegen in ihm nicht das gesuchte Prinzip des Philosophie erkennen: ‚Zwey Unbedingtheiten, die verbunden, aber nicht vereinigt sind, bedingen sich gegenseitig‘“; vgl. Jamme 101.
↵9 Fichtes These, die oben im Kursiv angegeben ist, ist auf derselben Seite zu lesen (Herbart, Erster problematischer Entwurf 109).
↵10 Dazu Krämer 180–189 (§ 3.6.2: „Hülsen als Mitarbeiter des Athenaeums“) bzw. 189–195 (§ 3.6.3: „Urteile der Frühromantiker über Hülsen“).
↵11 Ein Beweis für das Förtbestehen einer Form der Zusammenarbeit unter den Mitgliedern weit über das Bestehen des Bundes hinaus ist die Tatsache, dass Smidt, der als Bremer Bürgermeister eine brillante Karriere machte und auch Bremerhaven schuf, 1842 die Erinnerungen an J.F. Herbart veröffentlichte, welche später als Vorwort zum ersten Band des Gesamtwerkes des Pädagogen dienten und die auch die obengenannten Vorlesungen enthalten; siehe Herbart, Sämtliche Werke (Bd. 1) XXIII–XXXXVI.
↵12 Zu einem Verweis auf Fichtes „Jakobinismus“ siehe Kuhn 196.
↵13 Vgl. den Kommentar in Krämer 320–327.
↵14 Man beachte, wie Vincenzo Ferrone, in Teil III seines der Geschichte der Menschenrechte gewidmeten Werks, Kants Standpunkt hinsichtlich der Autonomie und Freiheit des Subjekts zusammenfasst: „Aufgrund dieser erhabenen und edlen Auffassung vom Humanismus der Aufklärung, die das menschliche Wesen im transzendenten Sinne von der Natur ablöste und es gleichermaßen zum Gesetzgeber und Untertanen eines von allen annehmbaren Universalrechts machte, dachte Kant, es sei möglich die Grundrechte des Subjektes allein auf Rousseaus Vorstellung von der natürlichen Freiheit zu begründen und sie nicht als ihnen zugehörig, sondern als ihnen wesensgleich zu betrachten, als ob sie auf natürliche Weise durch die geschichtliche Wahrwerdung der Freiheit des Menschen hervorgebracht worden seien“ (Ferrone 485f.).
↵15 Dazu Viehweg 80–90.